Der Wendelstein. Dem Geheimnis der Rötel-Inschriften näher gekommen


Neues vom Schloss Hartenfels, dem politischen und konfessionsbildenden Zentrum der Lutherischen Reformation




In dem Artikel, TZ, 13.03.2015, über die Rötelschrift-Sinnsprüche des Wendelsteins im Schloss Hartenfels von Torgau, hatten wir bereits darauf aufmerksam gemacht, dass die dortigen Inschriften (Inskriptionen) die Argumentationskette der für Torgau wichtigen Aussage: „Wittenberg ist das geistige und Torgau das politische Zentrum der Lutherischen Reformation“ mit unterstützen. Wir fanden jetzt einen Schriftzug im dortigen Sandstein, der von der Anzahl der Worte her eher als unbedeutend einzustufen war. Nach der Übersetzung aus dem Lateinischen zeigte er jedoch seinen enormen Sinnwert.

Das soll folgend erläutert werden: Im Inneren des Wendelsteins findet sich der Schriftzug: Gloria soli deo NB, auf Deutsch: Ehre sei allein Gott oder auch: Ehre sei Gott als Einzigem. Das NB steht für Nota Bene und bedeutet: „Merke wohl!“ oder „Beherzige das!“
Auch dieser genannte Schriftzug in rotbraunem Rötel entstammt, wie viele der Torgauer Wendelstein-Sprüche, etwa der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Das war die Zeit der anhebenden und sich dann ausbreitenden Lutherischen Reformation.

Was sollte nun ein solcher Sinnspruch zum Ausdruck bringen? Martin Luther und die Reformatoren hatten damals, in Abgrenzung zur römisch-katholischen Kirche, welche darauf bestand, die einzig wahre Kirche zu sein und die einzig gültige Autorität im Christentum zu besitzen, dieser ein neues Verständnis von Kirche entgegengesetzt. Dabei wurden von ihnen fünf theologische Prinzipien erarbeitet, auf die die neue Lutherische Kirche baute.
Diese fünf „Mottos“ (Solas) lauten: Allein der Glaube (Sola Fide); allein die Schrift (Sola Scriptum); allein Christus (Solus Christus); allein die Gnade (Sola Gratia) und Gott allein die Ehre (Soli Deo Gloria).
Das zuletzt genannte Motto entspricht dem o.g. Torgauer Wendelstein-Schriftzug: Gloria soli deo.
Wie man sieht, in der Wortfolge etwas verschieden von dem Sinnspruch im Wendelstein. Das ist aber unwichtig, da die Gewohnheit, die jeweilige Wesenheit stets mit „Soli“ beginnen zu lassen, erst später üblich wurde.
Unser Torgauer „Gloria soli deo NB“ ist als Schriftzug eine wesentliche Aussage der Lutherischen Reformation. Das Hineinschreiben des Mottos in den Wendelstein des Schloss Hartenfels stellt etwas Besonderes dar.

Was ist das Konkrete des Sinnspruches? Gott allein ist der Erlöser. Ihm gehört die ganze Ehre. Er teilt sie nicht mit ersonnenen Schutzheiligen (Schutzpatrone). Im Brief des Apostels Paulus an die Römer (11,36) steht: „Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen“. Mit dem beigefügten NB (Nota Bene) wird die Aussage auch noch so richtig spannend. Warum spannend?

Das „NB“ fügte mit hoher Wahrscheinlichkeit eine zweite Person unserem „Torgauer Gloria“ hinzu. Diese wollte anderen ein Zeichen geben, die Wichtigkeit des Spruchs zu beachten. Warum ist es so, dass das angefügte „NB“ als Hinweis für die Bedeutsamkeit des Spruches gelten kann? Im 16. Jahrhundert war es üblich, dass Personen, die Textpassagen für hervorhebenswert hielten, unter oder neben diesen ein „NB“ setzten. Das hier direkt hinzugefügte „Merke wohl!“ will mit Nachdruck auf den neuen Glauben aufmerksam machen. Jeder solle sich daran halten und die neue Konfession verbreiten und ausbilden helfen. Das wiederum ist eindeutig ein Beleg dafür, wie Konfessionsbildung damals in Erscheinung trat.
So kann man sich auch die damaligen Visitatoren vorstellen. Das waren Staats- und Kirchenleute, welche bei ihren Überprüfungen und Erläuterungen den Gemeindepfarrern und Schulmeistern auch ein „Nota Bene“ zuriefen. Ein „Merke wohl!“, vielleicht sogar die vorzunehmenden Erneuerungen mit erhobenem Zeigefinger bekräftigend, um die Konfessionsbildung voran zu bringen. Geschrieben wurde das „Torgauer Gloria“, meiner Meinung nach, nicht von einem Kirchenmann. Eher ist hier einer dem kurfürstlichen Umfeld Entstammender mit „Rötel-Tinte“ und „Griffel“ am Werke gewesen. „NB“ war übrigens nicht etwa das Namenskürzel des Schreibers.
Die Forschungen darüber werden durch uns weiter mit wissenschaftlich-kritischer Verantwortlichkeit vorgenommen, - „Merke wohl!“.

Was bleibt?
Wir gehen bei unseren Untersuchungen nunmehr davon aus, dass die Inhalte der vor beinahe 500 Jahren geschriebenen Rötel-Sinnsprüche im Wendelstein mithelfen, als Beleg für eine Bekräftigung und Bewahrheitung der These vom Torgauer Schloss Hartenfels als politisches und konfessionsbildendes Zentrum der Lutherischen Reformation zu dienen. Denn aus einem politischen Zentrum der Reformation kamen solche Weisungen und Anordnungen von der Obrigkeit, die die Verbreitung und Umsetzung des neuen Glaubens (Konfession) im Staat mit vollziehen halfen.
Derartige und viele weitere Belege benötigen wir hier am Ort, um bei Wittenberg vom geistigen und bei Torgau vom politischen und konfessionsbildenden Zentrum der
Lutherischen Reformation zu sprechen. Wittenberg und Torgau auf Augenhöhe – NB!

Dr. U. Niedersen


Links: Gloria Soli deo NB, so im Wendelstein. Die originalen Buchstaben sind 7 cm und 2,5 cm hoch; Länge des Sinnspruchs 28 cm
Rechts: Computertechnische Verstärkungen vorgenommen. Foto: Dr. Niedersen