Reformation als Bewegung und Veränderung in Kirche und Staat
Tagung
Kirche und Staat im 17. und 18. Jahrhundert
Torgau/Elbe, 16. und 18. Oktober 2015,
Ort: Torgau, Schloß Hartenfels, Plenarsaal, Flügel D (Innenhof), 2. Etage
Resümee
Die 18. Tagung des Fördervereins Europa Begegnungen e.V. begann im Rahmen einer Ausstellung mit Erläuterungen zur Devise der Lutherischen Reformation: „Das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit“ (Verbum Domini Manet In Aeternum; V.D.M.I.Æ.). Die Versalien der Devise sind an fünf Häusern in Torgau sowie am Schloss Hartenfels in Stein gehauen noch heute erhalten. Sieglinde Lawrenz hat diese Reliefs mittels Aquarell-Malerei und zwar jedes einzelne Fundstück, in Darstellung gebracht und im Konferenzsaal den Tagungsteilnehmern vorgestellt.
Einige Bemerkungen zur Devise V.D.M.I.Æ.:
Der ernestinische Kurfürst Friedrich der Weise wählte, 1522, aus einigen durch Spalatin vorgeschlagenen Sinnsprüchen einen davon aus dem Alten Testament entstammenden für die Symbolik einer Medaille aus. Es war der oben genannte Spruch, der nachfolgend an Bedeutung gewann und in seiner Kurzform rasante Ausbreitung fand.
Die Versalien, V.D.M.I.Æ. fanden sich auf Gegenständen des kursächsischen Hofes. Überhaupt verwendeten die Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes die Versalien des Wahlspruchs. Die Devise kennzeichnete und einte den Bund. Europaweit wurde sie die Devise der Reformation.
Was aber ist der tiefere Sinn des Sinnspruchs?
„Das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit“ kommt ja einem der vier Mottos (Solas) der neuen Lutherischen Kirche, nämlich dem „Allein durch das Wort“ sehr nahe; vgl. auch den Rötelschrift-Beitrag (U. N.), der in Kopie der Tagungsmappe beigelegt wurde.
„Allein das Wort!“ Oder: „Es ist das Wort Gottes, das ewig bleibt“. Beides verweist auf das Wort Gottes in der Bibel, ohne päpstliche oder anderweitige Zutat.
So wie die geschriebenen Rötel-Inschriften im Wendelstein, so war auch das Einmeißeln von V.D.M.I.Æ. an bevorzugter Stelle im Torgauer Schloss Hartenfels und an einigen Häusern der Stadt Ausdruck und Beleg dafür, den neuen Glauben (die neue Konfession) „in Abbildung zu bringen“: In Stein gehauen, von anderen wahrgenommen, dann nachgeahmt und somit durch Wiederholung für Verbreitung sorgend.
Im neuen Glauben war die Bürgerschaft Partner der Kurfürsten und Reformatoren. Auch die „unten“ halfen bei der Verbreitung der lutherischen Glaubensrichtung. Geistige Eliten (Luther; Melanchthon) waren hierbei die Ideengeber und weltliche Eliten (Kanzler Brück; Spalatin) brachten Ordnung und Organisation hinein. Alle standen sie zu V.D.M.I.Æ.
Mit V.D.M.I.Æ. zeigte man die Zugehörigkeit zu der Glaubensgruppe an, die sich nach 1529 Protestanten nannten.
Folgend nun zur Organisation der Tagung:
In die Tagungsmappe wurden neben der Teilnehmerübersicht mit der Adressenliste, dem Wissenschafts- bzw. Tätigkeitsprofil der angemeldeten Personen (Teilnehmerzahl ca. 100) und dem Tagungsprogramm folgende Stücke eingefügt:
- Die Zusammenfassungen der Tagungsvorträge (sieben Hauptvorträge).
- Reformation und Konfessionsbildung von Johannes Burkhardt, in: Luther und die Fürsten, Aufsatzband, 2015.
- Die Reformation und Torgau von Hansjochen Hancke, in: Sächsische Heimatblätter 4/09.
- Wittenberg und Torgau auf Augenhöhe – NB! von Uwe Niedersen, in: Torgauer Zeitung, 15.09.2015
Im Tagungssaal (Flügel D) befand sich der Büchertisch, der durch den Veranstalter und einigen Teilnehmern mit aktueller Literatur, Schwerpunkt „Lutherische Reformation“, ausgestattet worden war. Referenten legten ihre jüngst veröffentlichte Werke aus:
„Martin Luther. Reformator, Ketzer, Ehemann“ und „St. Nikolai zu Leipzig. 850 Jahre Kirche in der Stadt“ von Armin Kohnle; „Der Rhein ist die Elbe. Richard Wagners wahre Welten“ von Johannes Burkhardt; „Geschichte der Reformation in Deutschland“ „Luthers Reformation zwischen Theologie und Reichspolitik“, Aufsätze von Rolf Decot.
Es sei noch angemerkt, dass der veranstaltende Verein Europa Begegnungen e.V. während der Reformationsdekade die Webseite: www.VesteBurg.com betreibt. Hier werden weitere Informationen zur Tagungsserie „Reformation als Bewegung und Veränderung in Kirche und Staat“ angeboten.
Im Tagungssaal wurden desweiteren einige Ausstellungen angeboten. Es waren auch Posterstände eingerichtet, die allesamt zu folgenden Themen die Aufmerksamkeit erlangten:
- V.D.M.I.Æ. - VERBUM DOMINI MANET IN AETERNUM (Das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit) gemeißelt in Torgau, 16. Jhdt; Devise Friedrich des Weisen u. des Schmalkaldischen Bundes (Sieglinde Lawrenz; Malgruppe 725; Uwe Niedersen, Förderverein Europa Begegnungen e.V.)
- Ausstellung „Steinerne Zeugen der Reformation in Torgau und Umgebung“ (Aquarelle), Malgruppe 725, (Ltg. Sieglinde Lawrenz, mit Hilfe bei der Organisation durch Klaus Lotzenburger)
- Bilder zur Reformation und ihrer Geschichte von Volker Pohlenz
- Kirchen und bedeutende Männer Torgaus im 17. und 18. Jhdt. (Uwe Niedersen, Förderverein Europa Begegnungen e.V.)
- Kirchen in Torgau (Dieter Dudek und Norbert Lange; Sachsen-Preußen-Kollegium des Fördervereins Europa Begegnungen e.V.)
- Auslagen zum Thema „Martin Luther“ (Liesa Riemer, Lutheride aus Torgau)
Eine jeweilige Führung zum Abschluss der Tagung durch die 1. Nationale Sonderausstellung „Luther und die Fürsten“ im Schloss Hartenfels übernahmen Frau Witthöft und Frau Wagner, beide Mitarbeiterinnen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, SKD.
Die Sonderausstellung „Luther und die Fürsten“ zeigte die politische Geschichte der Fürsten im Zusammenhang mit der Durchsetzung der evangelischen und reformierten Glaubensrichtung sowie der Darstellung der katholischen Kirche während der Reformationszeit, etwa 1515 bis 1591.
Gemälde, Schatzkammerstücke, Prunkharnische und weitere historische Exponate waren Beleg dafür, dass es sich bei der Organisation der Lutherischen Kirche um ein komplementäres Wechselwirken zwischen Religion (Reformation) und Politik handelte.
Mit verschiedenen Exponaten, insbesondere auch zu Torgau als politisches Zentrum der Lutherischen Reformation, wurde in der Ausstellung ein Zugang zur Konfessionalisierung, eben zu der Organisation der Kirche und des Staates d.h. dem Veranlassen und Verordnen, dem Einrichten, Prüfen und Privilegieren durch die Räte der jeweiligen Landesherrlichkeit und der Reformatoren im 16. Jahrhundert eröffnet.
Die Zusammenfassungen der Vorträge waren bereits in den Tagungsmappen mit enthalten,
so dass folgend die Inhalte der Podiumsdiskussion vorgelegt werden.
Die Podiumsdiskussion
(Bearbeitung Uwe Niedersen)
Einleitende Bemerkungen:
Um die Gleichheit und die Verschiedenheit von „Kirche und Staat“ in ihrer Geschichte erzählen zu können, werden zu den Torgauer Tagungen jährlich Historiker verschiedener Disziplinen eingeladen. Nur so gelingt es, die Vielfalt von Gleichem und von Verschiedenem im Verhältnis von Glaube und Macht oder von Religion und Politik in Darstellung zu bringen.
An mitwirkenden Wissenschaftlern hatten wir bei dieser Tagung zum einen Kirchenhistoriker (Prof. Lexutt; Prof. Kohnle) und zum anderen Historiker der Allgemeingeschichte (Prof. Burkhardt; Prof. Decot) vereint, des weiteren Fachvertreter der sächsischen Geschichte (Prof. Groß; Prof. Müller und Dr. Treu als Fachmann für sächsische Reformationsgeschichte) und schließlich Historiker zum Thema „Die Reformation und Torgau“ (Dr. Hancke; Dr. Niedersen).
Alle gehaltenen Referate werden wiederum in Textform erscheinen, denn alle Vorträge der Tagungsserie sollen einen ca. 400-seitigen Sammelband bilden, den die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung (Dresden) in Druck geben und sachsen- bzw. deutschlandweit verbreiten wird.
In diesem umfassenden Buch wollen wir auch die o. g. Aussage über Torgau als das politische Zentrum der lutherischen Reformation durch eine Tatsachen- und Faktensammlung und durch Mitteilen entsprechender Szenarien, die auf die Organisation bei der Ausbildung des Konfessionsstaates (hier eines Staates mit lutherischem Glaubensbekenntnis) verweisen, erzählbar gestalten.
Wir sind jetzt dabei zu diskutieren, ob wir seitens des Fördervereins Europa Begegnungen e.V. eine Schrift entstehen lassen sollten, welche solche wesentlichen Zusammenhänge benennt, die die Aussage „Torgau als politische Zentrum der lutherischen Reformation“ zu untersetzen hilft, auch um dem verbreiteten Spruch „Torgau als Amme der Reformation“ durch eine wissenschaftliche Nachbesserung mehr Tiefe zu geben.
Die Organisation und Verbreitung von Glaubensrichtungen im 16. Jhdt. findet heute im Begriff „Konfessionalisierung“ ihre Bezeichnung.
Allein über die Aussage „Torgau das politische Zentrum der lutherischen Reformation“ und zugleich über den Begriff „Konfessionalisierung“ haben wir hier von Torgau aus die Chance, den Ausgriff in die Große Geschichte vorzunehmen.
Religion und Geschichte.
Woran glauben wir?
Prof. J. Burkhardt (Augsburg)
Mit „Ich bin Historiker und glaube an die Geschichte!“ möchte ich gegenüber Frau Lexutt mein wissenschaftliches Selbstverständnis pointiert zum Ausdruck bringen. Zum Verständnis der Geschichte gehört für mich seit Reformation und Konfessionsbildungen ganz zentral die Religion in ihren geschichtlichen Veränderungen und Entwicklungen, nicht aber die theologische Wahrheitsfrage oder heutige Glaubensangebote aus einer Interpretation von Luthertexten und deren Folgen.
Interessanterweise kann man aber – unübertroffen bleibt hier Ernst Walter Zeedens „Martin Luther im Urteil des deutschen Luthertums. Textband und Quellenband“ – an den von Frau Lexutt interpretierten Texten gerade auch die zunehmende Vergeschichtlichung von Religion ablesen: Luther und die Reformatoren selbst verstanden sich als die Wiederhersteller der alten christlichen Wahrheit (Wie die Renaissance-Humanisten bei der klassischen Antike). Die protestantische Orthodoxie stellte Luther an das Ende einer Reihe von Propheten und leugnete allen weiteren Veränderungsbedarf. „Was Lutherus einmal gelehrt, bei dem bleiben wir unverkehrt“ lautete die Devise in den Reformationsjubiläen bis 1717. Der Pietismus setzte dann mit dem Begriff der „unvollendeten Reformation“ die evangelische Religionsgeschichte wieder in Bewegung, bis die Theologen der Aufklärung Religion als einen prinzipiell legitimen und immerwährenden Veränderungsprozess zu begreifen begannen, in dem Luther nicht der „Kern“, sondern selbst eine Etappe auf dem Weg der Menschheit war. Hinter diese Erkenntnis sollten wir nicht zurückgehen.
Prof. A. Lexutt (Gießen)
Herrn Burkhardt möchte ich folgendes sagen: An die Geschichte zu glauben, kann kaum Trost, Gewissheit und Freiheit hervorbringen, wie es der Glaube (= Vertrauen) beansprucht. Dabei ist nicht der Glaube das entscheidende Moment, vielmehr die Zusage Gottes in der Offenbarung, welcher der Glaube in der Erfahrung den Wirkungsraum eröffnet. Das preiszugeben, bedeutet für die Theologie, sich selbst preiszugeben. Dies ist zwar durchaus als Trend auch in der akademischen Theologie zu beobachten (auf den Schultern eines bis zur Unkenntlichkeit gedehnten Schleiermacher stehend), dies kann aber nach meinem Dafürhalten auch nicht die angestrebte und erhoffte „Anschlussfähigkeit“ garantieren, ganz im Gegenteil. Dass und welche Bedeutung die Geschichte für die Theologie hat (und es daher auch des kirchengeschichtlichen Zugangs unbedingt und notwendig bedarf), sieht man indes schon an einem so wichtigen Text wie der „Disputatio de homine“ (der „Disputation über den Menschen“) Luthers, die den Menschen als „homo iustificandus“ („zu rechtfertigenden Menschen“) definiert und damit seine Geschichtlichkeit zum Wesensmerkmal erhebt.
An Frau Lexutt gerichtet wurde sogleich nachgefragt (U. Niedersen), ob sich das Wesen („Der Kern“) der lutherischen Theologie im Verlaufe der Zeit, ja bis heute verändert hat. Sind vielleicht doch die „Exklusivpartikel“ der lutherischen Theologie der eigentliche inhaltliche „Kern“ des reformatorischen Verständnisses?
Zum Begriff "Exklusivpartikel" hier vorerst einige Erläuterungen (U. N.):
Im Rahmen der Lutherdekade legte die EKD (Evangelische Kirche in Deutschland) kürzlich einen Grundlagentext vor, der mit „Rechtfertigung und Freiheit. 500 Jahre Reformation 2017“ seinen Titel erhielt.
In ihm werden die Kernpunkte (wesentliche Aussagen) der lutherisch-reformatorischen Theologie abgehandelt. Das reformatorische Verständnis des Christentums, so heißt es im EKD-Grundlagenpapier, wird mittels „Exklusivpartikel“ festgemacht: „allein Christus“; „allein durch die Gnade“; „allein durch das Wort“; „allein durch den Glauben“.
Die vier „Mottos“ (Solas) seien es, die das evangelische Glaubensverständnis des Christentums ausdrücken.
Kritisch wird hingegen von Allgemeinhistorikern und auch von einigen Kirchenhistorikern gefragt, ob eine solche abstrakt formulierte historische Anschauung den heutigen Menschen erreicht und ihn zustimmen lässt, der evangelischen Religion einen solchen Antrieb zuzuschreiben, der die Welt verändern hilft.
Prof. A. Lexutt (Gießen)
Zu der Nachfrage von Herrn Niedersen: Der „Kern“ ist und bleibt meines Erachtens das Relationale und Spannungsvolle, das in der Grundspannung von Schöpfer und Geschöpf verankert ist. Die vier Exklusivpartikel sind ebenfalls darin zu verorten. Dass dies schwer zu verstehen, zu vermitteln und in der kirchlichen und theologischen Praxis zu gestalten ist, sollte der Vortrag zeigen, und es wird sich noch weiter zeigen in der Beobachtung späterer Jahrhunderte. Insofern ist es kein Wunder, dass auf die vermeintlich „leichteren“ Exklusivpartikel zurückgegriffen wurde und wird, die aber nicht wirklich dazu dienen, eine konfessionelle Trennschärfe und/oder eine protestantische Identität eindeutig zu definieren. Das reformatorische Anliegen, wie es im Kern zu verstehen ist, bleibt nicht bei sich selbst stehen, sondern drängt in die Öffentlichkeit. Insofern muss die Kirche, die dieses Anliegen vertritt, auch mindestens sprachlich, mitunter aber auch sachlich anpassungsfähig sein an die Erfordernisse, Möglichkeiten und Grenzen ihrer jeweiligen Gegenwart. Die Denkschriften etwa geben von diesem Bemühen gutes Beispiel. Die Kirche täte im Blick auf das Reformationsjubiläum gut daran, dieses Anliegen neu zu entdecken und zu vermitteln, anstatt allein auf den Event-Charakter zu vertrauen.
Prof. R. Decot (Mainz)
Noch einmal zur Schrift und zum Bekenntnis: Betont wurden die verbindlichen Bekenntnisse für die Theologie in den lutherischen Kirchen, besonders die Confessio Augustana und das Konkordienbuch. Neben dem Kanon der Heiligen Schrift bildeten sich zwar schon in der alten Kirche „regulae fidei“, Kurzfomeln des Glaubens, heraus (Taufbekenntnis, Apostolisches Bekenntnis, nicaeno-konstantinopolitanisches Bekenntnis), aber vor der Reformation gab es keine umfänglichen, dogmatisch verbindlichen Bekenntnisse. Wie sind sie nach rund 500 Jahren im Verhältnis zur Schrift zu gewichten? Die Heilige Schrift muss immer wieder neu interpretiert und in die jeweilige Zeit hinein verkündet werden. Die hierzu entwickelten (historisch-kritischen) Methoden sind hierfür heute unverzichtbar. In welchem Verhältnis stehen die historischen Bekenntnisschriften und die jeweils aktuelle wissenschaftliche Theologie? Martin Luther hatte sogar ein lebendiges Lehramt zur Wahrung des Sinnes der Schrift für möglich gehalten, wenn er auch daran zweifelte, dass ein solches von einem einzelnen ausgeübt werden könnte.
Konfessionsbildung; Konfessionalisierung.
Prof. J. Burkhardt (Augsburg)
In der Diskussion um die Bedeutung und Notwendigkeit der Bekenntnisse zur Festschreibung von Glaubensaussagen habe ich als Konfessionsbildungsspezialist Stellung genommen. Während die neue Konfessionsforschung von Ernst Walter Zeeden, Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling an der Gleichartigkeit der Konfessionsbildungen ansetzt – zu Recht, aber worüber streiten die Konfessionen dann eigentlich? – sollte hier doch ein grundlegender Gegensatz nicht übersehen werden: für die vom geheiligten Text ausgehende evangelische Lehre war das Bekenntnis die erste Sorge, dann erst die ebenfalls nötige Kirchenorganisation. Für die katholische Konfession aber war das die letzte Sorge, nach der Wiederherstellung der geheiligten Kirche. Diese diametral entgegengesetzte Ausgangsposition – von mir als „evangelischer Primat des Lehrbekenntnisses“ und „katholischer Primat der Kirchenorganisation“ auf den Punkt gebracht – bestimmten das ganze jeweilige Religionssystem. Das waren keine graduellen Unterschiede, sondern nicht verhandelbare, einander ausschließende Letztbegründungen und der Grund für die fundamentale Intoleranz beider Konfessionsbildungen.
Die Lösung gelang zunächst nicht durch die Theologen und Kirchenvertreter, sondern durch den Staat, der im Einzelnen ein Konfessionsstaat sein konnte, aber in Deutschland als übergeordneter Gesamtstaat das Zusammenleben der dogmatisch militant unverträglichen Konfessionen regelte. Die öffentlich-rechtliche Sonderstellung der hergebrachten Konfessionen, in Deutschland bis heute (im Unterschied zur strikten Trennung von Staat und Kirche z. B. im seit der Revolution laizistischen Frankreich) hat hier ihren Ursprung.
Prof. R. Decot (Mainz)
Noch einige Worte zur Konfessionalisierung seien hinzugefügt: Der Begriff „Zeitalter der Reformation“ wurde von Leopold von Ranke als Epochenbezeichnung eingeführt. Weiter Gliederungsbegriffe wurden: Gegenreformation, Katholische Reform oder Zeitalter der Glaubensspaltung. Ernst Walter Zeeden sprach vom Zeitalter der Glaubenskämpfe, später fügte er hinzu „und der Konfessionsbildung“. Die Entstehung konfessionell unterschiedlicher Kirchentypen gehört mit zu den Hauptvorgängen der europäischen und besonders der deutschen Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts. Sie vollzog sich in einem Prozess, der nicht nur das Kirchliche berührte, sondern auch die Lebensbereiche des Politischen und Kulturellen, überhaupt alles Öffentliche und Private. Diese Vorstellung wurde in den letzten Jahrzehnten von verschieden Forschern wie Wolfgang Reinhard, Heinz Schilling u.a. weiter entwickelt und auch unterschiedlich akzentuiert. Der Endpunkt des konfessionellen Zeitalters ist nicht so scharf zu bestimmen wie sein Anfangspunkt. Es scheint aber berechtigt, die übliche Epochengrenze 1648 beizubehalten. Im Westfälischen Frieden von 1648 wurden die Konfessionen in die Reichsverfassung eingebaut. Damit erhielt das konfessionelle Element eine bleibende Bedeutung. Auch die theologischen Streitigkeiten gingen im 17. und 18. Jahrhundert weiter. Selbst die Aufklärung war in Deutschland theologisch-kirchlich geprägt, dennoch traten seit Mitte des 17. Jahrhunderts neue Kräfte in den Vordergrund. Die Existenz dreier Konfessionen nebeneinander im Reich, angebunden an unterschiedliche Territorien, ist eine Tatsache. Die neuen Elemente der zunehmenden Säkularisierung, der Aufklärung und auch der Versuche, die religiösen Trennungen zu überwinden, wie sie in einigen Unionsprojekten des 17. Jahrhunderts deutlich wurden, verweisen auf das Aufkommen einer neuen Epoche.
Tradition und Ökumene.
Prof. R. Decot (Mainz)
Zur Traditionsbildung: Wenn im Hinblick auf das Jubiläumsjahr 2017 eine stärkere öffentliche Profilierung des Protestantismus gewünscht wird, so sollte in diesem Zusammenhang vielleicht auch ein ökumenischer Akzent gesetzt werden. In den heutigen säkularen westlichen Gesellschaften können die christlichen Beiträge wohl weniger von einzelnen Konfessionen als viel mehr vom Christentum insgesamt ausgehen. Gewiss gibt es noch Unterschiede zwischen den Konfessionen, aber das Beispiel von Schrift und Tradition scheint nicht mehr aussagekräftig zu sein. Das Tridentinum (das Konzil von Trient, drei Sitzungsperioden der römisch-katholischen Kirche, die zwischen 1545 und 1563 stattfanden) hat an Schrift und Tradition festgehalten, ohne zu definieren, was unter Tradition zu verstehen sei. In den letzten 500 Jahren ist an diesem Problem weitergearbeitet worden. Das Zweite Vatikanische Konzil kam zu dem zusammenfassenden Ergebnis, dass man unter Tradition die jeweilige Auslegung der Heiligen Schrift in der Zeit verstehen kann. In diesem Sinne stünde auch Martin Luther mit seiner reformatorischen Theologie als Beispiel für lebendige Tradition, indem er nämlich die Schrift in seiner Zeit neu von ihrer Mitte her zur Sprache brachte. Die reformatorische Theologie selbst hat sich auch in „Traditionen“ weiter entwickelt. Im 17. Jahrhundert gab es – wie dargelegt wurde - unterschiedlicher Akzentuierung des reformatorischen Erbes in der Orthodoxie, dem Pietismus und der wissenschaftlichen Theologie. Alle Aspekte zusammen gehören zum Erbe der Reformation. Insofern ist auch hier der Vorgang der Traditionsbildung zu beobachten. Es wäre eine Bereicherung, die unterschiedlichen christlichen Traditionen von der Schrift her zu interpretieren und als Fülle des gesamten Glaubens zu begreifen.
Prof. A. Lexutt (Gießen)
Den Ausführungen von Herrn Decot sei angemerkt: Wenn die Gemeinsamkeit zwischen römischen Katholiken und Protestanten im Gnaden- und Rechtfertigungsverständnis so groß wäre, wie von Herr Decot behauptet, müsste es konsequenterweise auch die Möglichkeit geben, gemeinsam Abendmahl zu feiern.
Reformationsjubiläum und Memorialkultur.
Prof. W. Müller (Dresden)
In der Diskussion wird u.a. ein Vergleich der frühneuzeitlichen Reformationsjubiläen mit der bevorstehenden 500-Jahr-Feier 2017 angeregt. Als Referent vertrete ich die Auffassung, dass im Grunde schon 1617 der Prototyp für das spätere Reformationsgedenken entwickelt worden ist. Die treibende Rolle der Landeskirchen, die unterstützende Rolle des Landesherrn bzw. des Staates, die Mitwirkung der Universitäten bzw. der Wissenschaft – das alles läßt sich auch bei den nachfolgenden Jahrhundertfeiern beobachten. Auffallend waren zugleich die geringen Gestaltungsmöglichkeiten des Kirchenvolkes, das allerdings als Störfaktor in Erscheinung treten konnte. So waren in Sachsen 1830 die Jubelfeiern zum 300. Jahrestag der Confessio Augustana von Unruhen begleitet worden, weil die protestantische Bevölkerung gegenüber dem katholischen Königshaus der Wettiner den Vorwurf erhob, die Jubiläumsfeierlichkeiten nicht hinreichend zu unterstützen bzw. gar zu behindern. Als neue Formen der Jubiläumskultur im 19. Jahrhundert wurden überdies die historischen Festzüge sowie die Musealisierung der Reformationsstätten, etwa Wittenbergs, hervorgehoben.
Dr. M. Treu (Lutherstadt Wittenberg)
Ich möchte gern noch einige Ergänzungen zum Beitrag von Herrn Müller zu den Reformationsjubiläen machen. Das betrifft zum einen die Wurzel solcher Memorialkultur in Luthers zunehmender Selbststilisierung schon ab den 30er Jahren. So schreibt er im Zusammenhang mit dem Ausbau der Festung Wittenberg sinngemäß, dass in wenigen Jahren der Bau den Abriss seines Turms gefordert sein wird, worin sich „das Stüblin befindet daraus ich das Papsttum gestormet, welches doch ewiger Erinnerung würdig“ sei. Man sieht, der Anfang aller Luthermuseen liegt beim Reformator selbst.
Das zweite betrifft die Konfessionalisierung der Memorialkultur. Natürlich sahen die Katholiken 1617 keinen Anlass zum Feiern. Vor der Rekonfessionalisierung im 19. Jahrhundert konnte die Sache vor Ort ganz anders aussehen. In Eisleben wurde 1830 das Augustana-Gedenken noch ganz unter dem Eindruck der 1817 zwangsweise eingeführten Union zwischen Lutheranern und Reformierten begangen. Trotzdem beteiligte sich die breite Masse der Bevölkerung. Vor allem wurden die Häuser mit illuminierten Transparenten geschmückt, eine Eislebener Spezialität. Wie der Chronist hervorhebt, beteiligten sich auch Katholiken und Glieder der israelitischen Gemeinde. Das wäre 1883 nicht mehr möglich gewesen.
Prof. R. Decot (Mainz)
Jubiläumsjahre und katholische Kirche: Jahrhundertwenden haben die Menschen auch in der Vergangenheit immer wieder beschäftigt, so muss es auch um 1300 gewesen sein.
Schon zu Beginn des Jahres trafen zahlreich Pilgerscharen in Rom ein. Im Februar verkündete Bonifatius VIII. ein Jubiläumsjahr. Was den Papst hierzu veranlasst hat, ist nicht genau bekannt. Waren es die bereits eintreffenden Pilgerscharen oder das Drängen der römischen Bevölkerung, weil sie annahm, schon vor hundert Jahren, also 1200, sei bereits ein besonders großer Ablass verkündet worden. Der Jubiläumsablass bedeutet für die Geschichte des Ablasswesens eine entscheidende Weiterentwicklung. Einen vollkommenen Ablass hatte man bisher nur für eine Pilgerfahrt in das Heilige Land erwerben können. Möglicherweise hat der Verlust des Heiligen Landes dazu beigetragen, nun die Pilgerströme nach Rom zu den Gedenkstätten der Apostelfürsten und ihrer Nachfolger, den Päpsten umzulenken. Große Folgen hatte bekanntlich das Jubeljahr 1500 mit seinen jahrelangen, europaweiten Ablasskampagnen. Das Jubeljahr 1525 wurde von den Reformatoren heftig kritisiert. Als Motiv für diese Einrichtung benannten sie die Geldgier der Päpste, so mehrfach in den Tischreden Luthers geschehen.
Der Dreißigjährige Krieg. Der Westfälische Frieden.
Muss die Rolle Kursachsens während des Dreißigjährigen Krieges aufgrund neuer Forschungsergebnisse nicht in einem größeren Rahmen gesehen werden?
Prof. R. Groß (Kreischa in Sachsen)
Zu Beginn stand in unserer Diskussionsrunde die Frage, welche Rolle Kursachsen im Dreißigjährigen Krieg gespielt habe und ob es dazu neuer Fragestellungen bedürfe.
Das ist zutreffend, da bereits in der hoch einzuschätzenden Arbeit von Frank Müller über „Kursachsen und der Böhmische Aufstand“ auf der Grundlage umfangreicher archivalischer Forschungen für die ersten Jahre des Dreißigjährigen Krieges neue Erkenntnisse gewonnen worden sind. Dazu bedarf es für die drei Jahrzehnte des großen Krieges weitergehender Forschungen und nach Möglichkeit weiterer Quelleneditionen. Das betrifft sowohl die außenpolitischen und reichspolitischen Aktivitäten Kursachsens als auch die Innen- und Wirtschaftspolitik. Wir benötigen dringend zum Beispiel eine Aktenedition der politischen Korrespondenzen von Kurfürst Johann Georg I. und seiner engsten Ratgeber, wie sie für Herzog/Kurfürst Moritz von Sachsen vorliegt, die Edition der Landtagsakten der Landtage zwischen 1618 und 1648 und auch eine grundsätzliche Aufarbeitung der gesamten Kriegsschäden im Kurfürstentum Sachsen. Dafür existiert im Sächsischen Hauptstaatsarchiv und in den größeren sächsischen Stadtarchiven ein überreicher Quellenfundus.
Prof. J. Burkhardt (Augsburg)
Auf die Nachfrage des Diskussionsleiters, inwieweit sächsische Geschichte den größeren Rahmen, in dem sie zu sehen ist, sogar selbst mitgestaltet hat, habe ich auf die Beiträge der Sachsen zu den Lösungen zu Frieden, Verfassung und Religion verwiesen.
Ein Friedensbeitrag war zunächst die strikte Enthaltsamkeit der Kurfürsten vom kriegstreibenden Wettlauf um die Spitzenstellung in Europa sowie die konstruktive Friedensdiplomatie in Böhmen und die mustergebenden Friedensschlüsse von Prag und Kötzschenbroda als Vorleistung zum Westfälischen Frieden.
In dem verfassungspolitischen Konflikt zwischen Reichsoberhaupt und Reichsständen hat die sächsische Führung seine Bevölkerung nicht schützen können (dazu hat Herr Groß vorgetragen), aber durch situationsangepasste Flexibilität dem Reich als „Signalgeber“ (Burkhardt, Groß) den Weg gewiesen, der 1648/50 zur Erneuerung der doppelstaatlichen Verfassung geführt hat, von der die deutsche Geschichte bis heute bestimmt ist.
In der Religionsfrage hat Kursachsen entschlossen auf die gemäßigte, neutrale und zum Ausgleich auch auf die andere Seite gesetzt und einen Religionskrieg nicht gelten lassen. Als das Religionsproblem nach dem Restitutionsedikt nicht mehr zu dementieren war, hat die sächsische Diplomatie den Ausweg des Normaljahrs gefunden: Die neuartige Stichjahrsregelung an sich und schließlich auch die konsensfähige Friedenszahl 1624.
Für die Ergänzungsfrage, warum gerade Sachsen sich hier bemüht hat, wurde Herr Groß als landesgeschichtlicher Experte mit herangezogen. Als damals politisch wie wirtschaftlich stärkster Landesstaat mit seiner religionspolitischen, wie aber auch reichspatriotischen und friedenswahrenden Tradition, fiel ihm unter den Reichsständen eine Führungsposition zu.
Prof. R. Decot (Mainz)
Anmerkungen zu „Religionskrieg“ und „Eroberungskrieg“: Der Kriegseintritt Schwedens 1630 hatte zunächst das Ziel, in Deutschland den Protestantismus wieder herzustellen und abzusichern. Wo es Gustav Adolf gelang, die Landeshoheit zu erringen, errichtete er eine lutherische Kirchenorganisation und ein lutherisches Schulwesen. Es bleibt die Frage, ob die Schweden nicht noch weitere Ziele hatten.
Der Schwedenkönig forderte einen Ausgleich für die Schäden, die seine Untertanen, hierunter verstand er zunächst die Bewohner der eroberten Gebiete Pommern und Mecklenburg sowie der konfiszierten geistlichen Territorien, durch den Krieg erlitten hätten. Die lutherischen deutschen Staaten betrachtete er als Verbündete, die eroberten Gebiete stünden Schweden jure belli (dem Gesetz des Krieges nach) zu. Nicht geklärt ist, wie weit der Schwedenkönig aus der verfassungsrechtlichen Stellung des Erzstifts Mainz für sich Vorteile ziehen wollte. Strebte er etwa nach dem Reichserzkanzleramt, nach dem Vorsitz im Kurkolleg, wollte er selbst Kurfürst von Mainz werden oder wollte er dieses Amt seinem Reichskanzler Oxenstjerna oder etwa dem Pfalzgrafen August von Sulzbach übertragen? All diese Vermutungen sind geäußert worden. Die genauen Pläne sind kaum zu ermitteln und waren wohl noch nicht abgeschlossen. Aber er wollte wohl Deutschland neu ordnen, wobei alle protestantischen Territorien unter schwedischer Führung zusammengefasst werden sollten. Die eroberten katholischen Gebiete Würzburg, Mainz usw. hätten in einem solchen neugeordneten Gebiet die Funktion einer schwedischen Hausmacht übernehmen können.
Prof. R. Groß (Kreischa)
Zu Gustav Freytag, einem Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, möchte ich noch eine Ergänzung geben:
Im Rahmen meines Vortrages am Freitag (16.10.) konnten die vorgesehenen Zitate aus Gustav Freytags „Bilder aus der deutschen Vergangenheit“ aus Zeitgründen nicht gehalten werden. Der nachdrückliche Hinweis auf die lebhaften Schilderungen Freytags über die Zustände bei den im Dreißigjährigen Krieg agierenden Söldnertruppen führte zur Frage nach dem heutigen Bekanntheitsgrad dieses deutschen Schriftstellers des 19. Jahrhunderts. Der am 13. Juli 1816 im schlesischen Kreuzburg (heute Kluczbork, Polen) geborene älteste Sohn des Bürgermeisters dieser Stadt galt im 19. Jahrhundert als der Schriftsteller des deutschen Bildungsbürgertums. Nach dem Ablegen des Abiturs am Gymnasium von Oels 1835 studierte er an den Universitäten von Breslau und Berlin klassische und deutsche Philologie, promovierte 1838, habilitierte sich ein Jahr später mit einer Arbeit über Roswitha von Gandersheim und wurde Privatdozent für deutsche Literatur und Sprache an der Breslauer Universität. Ab 1844 wirkte Freytag als freier Schriftsteller und siedelte 1847 nach Dresden über, wo er bald in engere Verbindung zu den vormärzlichen literarischen Kreisen in der Stadt trat. Hier gründete er einen geselligen Verein zur Weiterbildung von Arbeitern und Gehilfen, ging aber schon Anfang 1848 nach Leipzig. Dort schloss er sich der preußisch-deutschen nationalliberalen Bewegung an und wurde mit dem Roman „Soll und Haben“ (3 Bände 1855) zum Publizisten des national gesinnten Bürgertums. Zwischen 1859 und 1867 erschienen die „Bilder aus der deutschen Vergangenheit“ in fünf Bänden und von 1872 bis 1880 der sechsbändige Roman-Zyklus „Die Ahnen“. Gerade in der heutigen Zeit kann die Lektüre dieser Werke von Gustav Freytag, der am 30. April 1895 in Wiesbaden verstarb, nur empfohlen werden. So sollten sie der Vergessenheit entrissen werden.
Kirche und Staat.
„Staat“ und „Kirche“ oder „Politik“ und „Religion“; sind das Begriffe, die in ihrer Gegenüberstellung von einander abgrenzen sollen?
Dr. M. Treu (Lutherstadt Wittenberg)
Zu der Frage hinsichtlich einer Gegenüberstellung von „Politik“ und „Religion“ als Regulativ oder Grenzziehung. Beide Begriffe treffen Luthers Denken nicht so recht. Verstehbar wird das Ganze auf dem Hintergrund seiner Zwei-Regimente-Lehre. In Parenthese, der Begriff Zwei-Reiche-Lehre sollte endlich aus dem Diskurs verschwinden. Es handelt sich um eine von Karl Barth um 1920 erfundene polemische Bezeichnung, die ausdrücklich abwertend gemeint war. Luther geht zwar von Augustin aus, führt dessen Denken aber fort. Gott regiert sowohl die Kirche wie die Welt. Aber er tut das auf verschiedene Weise, die Kirche durch das Wort, die Welt durch das „Schwert“. Kirche ist bei Luther hier die Gemeinschaft der wahrhaft Gläubigen, die durchaus nicht identisch mit der sichtbaren Kirchenorganisation ist. Das Schwert steht für das Recht, das in der Welt gilt und notfalls mit Gewalt durchgesetzt werden muss. Beides, Welt und Kirche, gehört zu Gottes guter Schöpfung, die aber durch den Sündenfall verdorben ist. In beiden Bereichen regiert Gott. Die Welt gehört nicht etwa dem Teufel, wie das bei Augustin manchmal anklingt.
Wichtig ist nun, zwischen den beiden Bereichen sicher unterscheiden zu lernen. Gerade das ist die Kunst der Theologie, so Luther. Die Welt kann nicht mit dem Evangelium regiert werden, aber auch die Kirche nicht mit dem Schwert. Als ihm die kurfürstlichen Räte erklären, dass das weltliche Recht einen Widerstand der Fürsten gegen den Kaiser zulässt, zieht Luther seine Einsprüche zurück. Im weltlichen Recht hat die Theologie keine Stimme. Das kann man missverstehen und es ist missverstanden worden, als gäbe es eine „Eigengesetzlichkeit“ der Welt. Luther sichert sich dagegen durch seinen doppelten Personenbegriff ab: Der Fürst ist zugleich Christ und Amtsperson. Als Christ ist er zum Leiden und Erdulden verpflichtet, als Amtsträger zum Schutz seiner Untertanen. Aber auch dabei zieht Luther enge Grenzen. Ein Präventivschlag, sei er auch noch so gut begründet, ist immer ausgeschlossen. Selbst präventive Rüstung sieht er kritisch. Verteidigung des Evangeliums, falls nötig auch mit Waffen, bleibt eine ultima ratio. Die Mission mit Feuer und Schwert ist völlig ausgeschlossen. Zwingli bezahlte bekanntlich seine andere Auffassung 1531 mit dem Leben.
Von Luther lernen?
Dr. M. Treu (Lutherstadt Wittenberg)
Eine mehr als offene Frage ist, ob und was man heute von Luther lernen kann. Luther versteht Herrschaft als göttliches Gebot und personalbezogen. Die Fürsten, die er kennt, bemühen sich Christen zu sein. Die Idee der Demokratie kennt Luther nur in der Kirche im engen Sinn als Gemeinschaft der Glaubenden, hier allerdings wieder unter direkter Herrschaft Christi. Der Rechtsstaat wiederum ist für Luther durchaus ein hohes Gut in weltlichen Dingen, wenn er kriegerische Konflikte verhindert.
Ausbreitung nichtchristlichen Glaubens in Deutschland.
Auf eine Frage (Frau Müller-Laatsch) und auf eine Bemerkung (Herr Schwaibold) aus dem Auditorium zum gegenwärtigen Zustrom von Flüchtlingen nichtchristlichen Glaubens antwortete Prof. J. Burkhardt (Augsburg):
Mit dem Hinzukommen weiterer, nichtchristlicher Religionen, das längst millionenfaches Faktum ist, steht nach der staatsbürgerlichen Gleichstellung fairerweise auch eine religionsrechtliche an. Entweder die Konfessionen verzichten auf die öffentlich-rechtlichen Privilegierungen, oder der Islam bzw. seine Gruppierungen werden ebenfalls als öffentlich-rechtliche Religionsvereine anerkannt und damit eingebunden. Unsere reiche Erfahrung mit der Bändigung des konfessionellen christlichen Fundamentalismus in den ersten neuzeitlichen Jahrhunderten durch rechtsstaatliche Regelungen spricht für den letzteren Weg. Nicht die Ausgrenzung, sondern gerade die Einbindung des Islam entspräche deutscher Tradition.
Zur Nachfrage nach möglichen Nachteilen habe ich vor einer Überschätzung kultureller Unvereinbarkeiten gewarnt – das europäische Völkerrecht haben schon die Osmanen nicht nur schnell übernommen, sondern im 18. Jahrhundert selbst mitentwickelt, und umgekehrt wird oft vergessen, dass das Kopftuch bis ins 19. Jahrhundert und länger in der europäischen Gesellschaft als Unterscheidungszeichen diente, um die soziale Stellung oder den Familien- bzw. geistlichen Stand der Frauen anzuzeigen.